Cousteau Bio Pic Premieres in Berlin, Germany

Cousteau Bio Pic Premieres in Berlin, Germany

Endlich, das Telefon klingelt. Das muss der Vater sein, der immer abends anruft, von seinen fernen Tauch-Expeditionen auf den Meeren überall auf dieser Welt. Alexandra Cousteau ist dreieinhalb Jahre alt, ihr Vater Philippe und ihr Großvater Jacques-Yves Cousteau sind Weltstars. Niemand vor ihnen hat die Unterwasserwelt so farbenprächtig, so spektakulär, so unterhaltsam gefilmt und damit Millionen Zuschauer gefesselt.

Alexandra nimmt den Telefonhörer ab. “Papa?” Stille. Es ist nicht der vermisste Vater. Sondern jemand, der ihre Mutter verlangt und sagen wird, dass Philippe Cousteau an diesem 28. Juni 1979 bei einem Unfall mit seinem Flugboot gestorben ist.

37 Jahre später erzählt Alexandra Cousteau in ihrer stuckverzierten Berliner Altbauwohnung vom viel zu frühen Tod ihres Vaters. Aus dem kleinen Kind ist eine zierliche, blonde Frau geworden, elegant gekleidet in einem engen blauen Blazer.

Rastlos wie einst ihr Vater und Großvater reist Alexandra um die Welt, um gegen Verschmutzung und Überfischung der Meere zu kämpfen. Seit zwei Tagen erst ist sie aus Argentinien zurück und hat endlich Zeit für ihre beiden Kinder. Sie sind fast im gleichen Alter wie Alexandra, als 1979 das Telefon klingelte.

Natürlich könne sie sich nicht mehr an den traurigen Anruf erinnern, sagt sie. Aber ihre Mutter habe davon erzählt, und in den vergangenen Wochen wurde sie immer wieder daran erinnert – durch die anrührende Szene aus dem Kinofilm “Jacques – Entdecker der Ozeane”, der gerade in den deutschen Kinos angelaufen ist.

Bereit, sein Leben zu riskieren

“Es ist hart, den Vater auf der großen Kinoleinwand sterben zu sehen”, sagt Alexandra Cousteau. Sie ringt nach einem passenden Begriff für ihre Gefühle und wechselt von der Muttersprache ins Englische, weil ihr nur das Wort “bittersweet” passend vorkommt. “Mein Vater ist nach seinem Tod etwas in Vergessenheit geraten, in der vordigitalen Zeit gibt es nur wenig Spuren von ihm”, erklärt sie. “Dabei war er einer der großen Männer seiner Epoche und hat Millionen Taucher inspiriert. Als ich den Film sah, war ich sehr glücklich, aber mit Tränen in den Augen.”

“Jacques” ist keine historische Dokumentation, erzählt aber eine wahre Geschichte, die so viel hergibt, dass sie keiner künstlichen Dramatisierung bedarf. Im Mittelpunkt steht das Leben von Jacques-Yves Cousteau. War er der geniale Tüftler, der mit seiner “Aqua-Lunge” das Tauchen revolutionierte? Oder ein irrer Fantast, überzeugt davon, genetisch veränderte “Fischmenschen” würden bald den Meeresboden besiedeln? War er ein Umweltschutz-Pionier? Oder ein skrupelloser Filmemacher, der für seine oscarprämierten Dokumentationen Tiere quälte, um besonders spektakuläre Aufnahmen zu bekommen?

Auf jeden Fall war JYC, wie ihn seine Freunde nannten, bereit, sein Leben zu riskieren. Einst träumte er davon, als Marineflieger die Welt zu entdecken – bis ein schwerer Autounfall seine Pläne durchkreuzte. 1936 überschlug sich sein Wagen, Cousteau brach sich zwölf Knochen. Sein linker Arm war derart zertrümmert, dass Ärzte zur Amputation rieten, um einen womöglich tödlichen Wundbrand zu vermeiden. Cousteau wagte alles und gewann: Der Arm verheilte.

Mit der Fliegerkarriere war es vorbei, doch der 26-Jährige stillte sein Entdeckerbedürfnis auf andere Art. Seit er im Sommer 1936 erstmals mit einer Unterwasserbrille im Mittelmeer tauchte, träumte er von den Tiefen der Meere: “Ich tauchte meinen Kopf unter, und die ganze Zivilisation schwand mit dieser einen Bewegung dahin. Ich war wie in einem Dschungel, der noch nie von all denen erblickt worden war, die sich auf der undurchsichtigen Erdoberfläche bewegten.” Es war ein Erweckungserlebnis: Seine Augen hätten sich für “die Wunder des Meeres” geöffnet; er habe sein “altes Leben abgeworfen”.

“Selbst Fisch werden”

Wieder riskierte Cousteau sein Leben – um “selbst Fisch zu werden”. Mit den damals üblichen schweren Tauchhelmen und -anzügen, von außen mit Luft versorgt, erschien ihm das unmöglich. Also experimentierte er, oft leichtsinnig, mit neuen Atemgeräten und verlor mehrmals unter Wasser das Bewusstsein.

Dann kontaktierte er Emile Gagnan, Experte für industrielle Gasausrüstungen. Gemeinsam entwickelten sie die “Aqua-Lunge” weiter, auf der bis heute das Prinzip des Tauchens basiert: Per Atemregler ließ sich fortan komprimierte Luft aus Flaschen automatisch dem wechselnden Wasserdruck anpassen.

“Befreit von Schwerkraft und Auftrieb flog ich durch das All”, jubilierte Cousteau nach dem ersten Tauchgang. Und später: “Ich bin das Meer, und das Meer ist in mir.” Die neue Technik legte das Fundament für seinen Welterfolg: Der Film “Jacques” zeigt, wie er nachts aufgeregt an Bord seines berühmten Forschungsschiffes “Calypso” mit dem Finger über die Meere eines leuchtenden Globus fährt. Und zu seiner Frau Simone sagt: “Stell dir vor, dort unten gibt es eine ganze Welt zu entdecken!”

Als echter Entdecker wollte Cousteau diese Welt natürlich festhalten. Umtriebig, ehrgeizig, erfindungsreich, hyperaktiv. Seinen ersten Film hatte er 1942 noch mit einer simplen Kamera im wasserdichten Einmachglas gedreht. Nur 14 Jahre später stießen seine Taucher in der oscargekrönten Doku “Die schweigende Welt” mit unter Wasser brennenden Magnesiumfackeln wie tollkühne Eroberer in die Tiefe vor. Sie rasten mit von Cousteau entworfenen Unterwasser-Scootern hinter Fischschwärmen her, flogen über bunte Korallengärten und inspirierten damit später einen James-Bond-Film. Sogar den Haien stellten sie sich, geschützt nur durch einen engen Käfig.

Mit der “tauchenden Untertasse” in die Tiefe

Cousteaus Fantasie kannte keine Grenzen: 1964 versenkte er eine Art bewohnbares Aquarium im Roten Meer und lebte mit seinem Sohn Philippe wochenlang unter Wasser – in klimatisierten und beleuchteten Räumen, rauchend und Champagner schlürfend. Mit einem futuristischen U-Boot, der “tauchenden Untertasse”, stieß Cousteau in immer größere Tiefen vor.

Geschickt machte er sich selbst zur Marke: In mehr als 100 Filmen ließ er seine Crew auf der blendend-weiß gestrichenen “Calypso” stets bald weltberühmte rote Wollmützen tragen. Um exorbitant teure Expeditionen zu finanzieren, schloss er auch Verträge mit der Öl-Industrie ab und sondierte den Meeresboden nach möglichen Bohrorten. Dem US-Sender ABC rang er die Rekordsumme von 4,2 Millionen Dollar ab, für die zwölfteilige Fernsehsendung “Die Unterwasserwelt des Jacques Cousteau”. Und doch reichte das Geld meist nicht.

Die Sucht nach den aufregendsten Bildern machte den schmächtigen Mann mit dem hageren Vogelgesicht bald angreifbar. Meeresbiologen warfen ihn vor, nur die Sensationslust zu bedienen, aber nichts zur Forschung beizutragen.

In “Die schweigende Welt” von 1956 hängten sich Taucher an Panzer von Riesenschildkröten, während Cousteau aus dem Off über die gehetzten Tiere witzelte. Die “Calypso” verfolgte Pottwale; ein panisches Jungtier verfing sich in der Schiffschraube und verendete. Haie wurden mit Walkadavern angefüttert und wild gemacht, später an Bord der “Calypso” gezogen, von der Mannschaft zu Tode geprügelt. Frühere Crew-Mitglieder behaupten gar, sie hätten massenhaft Delfine getötet, um sie an Haie zu verfüttern.

“Ein Held mit Fehlern”

Alexandra Cousteau, engagierte Aktivistin der Meeresschutzorganisation “Oceana”, kennt diese Vorwürfe. Manches stimme, manches sei aus Neid erfunden worden. Die Kritik sei aber vor allem eines: ungerecht.

“Es ist einfach, aus heutiger Sicht Dinge zu verurteilen, ohne den historischen Kontext zu berücksichtigen. Mein Großvater war in den Fünfzigern der Erste, der solche Filme gedreht hat. Dafür gab es damals noch keine Regeln oder ein Umweltbewusstsein.” Für sie ist ihr Großvater deshalb ein “Held mit Fehlern”, aber eben ein Held: “Ich kenne nicht persönlich den Cousteau aus den Fünfzigern und Sechzigern. Ich habe nur den Cousteau aus den Achtzigern und Neunzigern erlebt. Und da gab es niemanden, der sich so sehr für die Umwelt eingesetzt hat.”

Dass sich Jacques-Yves Cousteau tatsächlich zum engagierten Umweltaktivisten entwickelte, war womöglich auch der Verdienst von Philippe. Im Kinofilm streiten beide erbittert über die wahre Episode, ob man zu Unterhaltungszwecken Seelöwen an Bord der “Calypso” nehmen dürfe. Das sei Disney, Schwachsinn, Tierquälerei, wettert Philippe, der seinem Vater zudem nie dessen zahlreichen unehelichen Affären verzieh.

“Sie sind oft heftig aneinandergeraten”, sagt Alexandra Cousteau, “und waren doch ein Herz und eine Seele.” Am Ende, so sieht sie es, schärfte ihr Vater die Sinne ihres Großvaters für den Umweltschutz. Gemeinsam fuhren die beiden 1975 zu einer Expedition in die Antarktis. 16 Jahre später errang Jacques Cousteau seinen größten Sieg als Umweltaktivist: Er bewegte die Mächtigen der Welt dazu, in einem Moratorium den Schutz der Antarktis für 50 Jahre zu garantieren. Selbst Georg Bush, Freund der Öl-Multis, unterschrieb.

Alexandra Cousteau hat von ihrem Großvater mit sieben Jahren das Tauchen gelernt. Als Jugendliche war sie mit ihm begeistert wochenlang auf Expeditionen und wird dasselbe mit ihren Kindern tun. Und doch sagt die Enkelin des berühmten Tauch-Pioniers am Ende einen traurigen Satz, zugleich eine Warnung: “Ich tauche nicht mehr gern. Ich bin zu oft an Orte zurückgekehrt, an denen es heute kaum noch einen Fisch zu sehen gibt. Die Meere, die mein Großvater erforscht hat, existieren so nicht mehr.”

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